Ein Überblick über die aktuellen Therapieoptionen

MÜNCHEN – Die operative Behandlung der nicht rekonstruierbaren Rotatorenmanschetten-Läsion stellt eine Herausforderung für den behandelnden Orthopäden dar. Allerdings stehen heute  ausgezeichnete arthroskopische und offene Möglichkeiten zur Verfügung, die jeweils individuell auf die exakte Pathologie und den Anspruch des Patienten abgestimmt werden müssen. Bei korrekter Indikationsstellung und exakter Patientenselektion für den jeweiligen Eingriff kann dem Patienten eine deutliche Verbesserung der präoperativen Situation in Aussicht gestellt werden. Da nicht jeder Eingriff für alle Patienten gleichermaßen geeignet ist, müssen die verschiedenen Techniken vom Operateur beherrscht werden.

Die Weiterentwicklung der arthroskopischen Operationstechniken erlaubt heute eine exakte Beurteilung und Rekonstruktion der Rotatorenmanschettenrupturen (RMR). Bei ausgedehnten, komplexen Defekten der Rotatorenmanschette (RM), sogenannte Massenrupturen, kann eine komplette Rekonstruktion bisweilen nicht mehr erzielt werden. Massenrupturen treten in zehn bis 40 Prozent aller RM-Läsionen auf. (5) Cofield et al. (2) beschreiben die Massenruptur als Ruptur mit einer anterosuperioren Ausdehnung von mindestens 5 cm, während Zumstein et al. (23) darunter eine komplette Ruptur von zwei oder mehr Sehnen verstehen. Durch ein gestörtes Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen Anteilen der RM kommt es im Verlauf zu einer Dezentrierung des Humeruskopfes nach cranial, dadurch zu einer Störung der Biomechanik des Gelenkes und schließlich zu einer Einschränkung der Funktion. Der Übergang von einer einfachen RMR zu einer Ruptur, die keine komplette oder sinnvolle Rekonstruktion mehr erlaubt, ist schleichend. Bei der Beurteilung und Therapieplanung sind verschiedene Parameter wie zum Beispiel die Sehnenretraktion und die Qualität der Sehnen-Muskel-Einheit zu beachten. Im Endstadium der Erkrankung zeigt sich ein fixierter Humeruskopfhochstand mit Azetabularisierung des Acromion bei gleichzeitigem Gelenkverschleiß. (11) Man spricht dann von einer Defektarthropathie. Die optimale Therapie der irreparablen RMR wird kontrovers diskutiert. Im vorliegenden Artikel werden die aktuellen Therapieoptionen erläutert.

Konservative Therapie

Die konservative Therapie der komplexen RMR umfasst eine antientzündliche Therapie mit NSAR oder Kortisoninjektionen sowie physikalische Maßnahmen. Dazu kommt eine konsequente Trainingstherapie zur Stärkung der periskapulären Muskulatur und des Deltamuskels, um die verletzte RM zu kompensieren. Bei vielen Patienten kann damit, zumindest für eine gewisse Zeit, eine Verbesserung der Schmerzsituation und der Funktion erreicht werden. (3)

Operative Therapie

Bei Fehlschlagen der konservativen Therapie kann zur Verbesserung der Schmerzsituation und der Funktionseinschränkung eine operative Versorgung notwendig werden. Dabei gibt es verschiedene Operationsverfahren, die spezifisch für den jeweiligen Patienten abzuwägen und mit ihm zu besprechen sind.

Arthroskopisches Debridement mit Tenotomie

Als einfachste und schmerzpalliative operative Variante steht ein arthroskopisches Debridement mit Tenotomie der langen Bizepssehne, subacromialer Dekompression sowie gegebenenfalls Tuberkuloplastik zur Verfügung. Dadurch konnten von Walch et al. (21) eine signifikante Verbesserung im Constant Score erreicht werden. Da eine wesentliche Verbesserung der Funktion nicht zu erwarten ist, muss der Anspruch des Patienten zuvor klar herausgestellt werden.

Partialrekonstruktion

Unter Partialrekonstruktion der Rotatorenmanschette nach Burkhart et al. (1) versteht man die Wiederherstellung des anterioren und posterioren Kräftepaares („force couples“) – Infraspinatus/

Teres minor und Subskapularis. Das Ziel ist dabei, eine komplette Läsion der RM mit Funktionsverlust der Schulter in eine „funktionelle“ Ruptur umzuwandeln. Dabei werden Infraspinatus- beziehungsweise Subskapularissehne über dem Äquator des Humeruskopfes spannungsfrei reinseriert, was eine verbesserte Biomechanik des Gelenkes zur Folge hat. Dadurch kann eine Verbesserung von Schmerz und Funktion erreicht werden, ohne dass die volle Kraft erreicht wird. (22)

Superiore Kapselrekonstruktion

In den letzten beiden Jahren wurde eine neue Technik, die sogenannte „Superior Capsule Reconstruction“ nach Mihata (14) populär. Dabei wird ein Fascia-lata-Autograft (oder dermales Allograft) als superiore Defektdeckung zwischen Glenoidoberrand und Tuberkulum majus fixiert. Die

posterioren und anterioren Ränder werden mit der verbliebenen RM vernäht. Dadurch soll die Biomechanik des Gelenkes verbessert und eine Kranialisierung des Humerus vermieden werden. Mihata et al. haben für diese Technik sowohl biomechanisch als auch klinisch vielversprechende

Ergebnisse berichtet. (14,15) Als arthroskopische Technik trifft sie den Nerv der Zeit. Die Ergebnisse anderer Arbeitsgruppen und die Langzeitergebnisse bleiben allerdings abzuwarten.

Sehnentransfer

Eine weitere Option bei nicht rekonstruierbaren Sehnendefekten der RM stellen die Muskel-Sehnen-Transferoperationen dar. Bei antero-superioren Rupturen kommt hier ein Transfer des M. pectoralis major (PM) und bei postero-superioren ein M.-latissimusdorsi (LD)-Transfer infrage. Bei diesen OP-Verfahren wird die Sehne des Transfer-Muskels in den Defekt der RM eingenäht. Für den LD-Transfer

wurde zahlreiche Techniken beschrieben, um die Sehne des LD am superolateralen Humerus zu refixieren. Sowohl die „single incision“-Technik nach Habermeyer, bei der die Sehne über einen posterioren Zugang abgesetzt, unter dem Deltamuskel getunnelt und am Footprint des Supraspinatus

refixiert wird (Abb. 1), als auch die klassische „double incision“-Technik haben gute klinische  Ergebnisse mit Verbesserung der Schmerzsituation und Schulterfunktion gezeigt.(4,8,10) Ein intakter Subscapularis ist für das Gelingen der Operation Voraussetzung. Negative Prädiktoren für das Outcome sind ein präoperatives Droparm-sign, stattgehabte Voroperationen und eine fortgeschrittene Defektarthropahie des Gelenkes (AHA < 5 mm). Auch für den PM-Transfer sind verschiedene Techniken beschrieben. (6,7,16,18) Dabei hat sich in den letzten Jahren ein Vorteil für die Technik mit Durchführung des Transplantates unter den Conjoined Tendons gezeigt.(12,13,19,20)

Inverse Prothese

Wie eingangs bereits erwähnt, führt eine ausgedehnte Verletzung der RM zu einem Zusammenbruch der korrekten Gelenkmechanik, wodurch es zu einer Dezentrierung des Humerus nach kranial und im weiteren Verlauf zu einer exzentrischen Omarthrose, der Defektarthropathie kommt. Die Einteilung erfolgt nach der Klassifikation von Hamada. (11) Im Endstadium kommt es zu einer Azetabularisierung des Humerus mit dem Akromion und es resultiert eine schmerzhafte  Pseudoparalyse des Armes. Für diese Pathologie wurde von Grammont in den 1980er Jahren die Deltaprothese entwickelt. (9) Durch Medialisierung und Kaudalisierung des Drehzentrums können mithilfe dieser Prothese ein verbesserter Kraftvektor und eine bessere Vorspannung des M. deltoideus erreicht werden (Abb. 2). Zahlreiche klinische Studien haben seither den Erfolg der Prothese bei der Wiederherstellung der schmerzfreien Schulterfunktion bestätigt. Eine hohe Komplikationsrate und eine Verschlechterung der Schulterfunktion bereits in der ersten Dekade sind in der Literatur als negative Faktoren beschrieben und sollten zu strenger Indikationsstellung Anlass geben. (17,23) Neue Langzeitstudien zur Untersuchung der modernen inversen Prothesensysteme und der verbesserten Implantationstechniken sind notwendig, um eine mögliche Verbesserung in diesem Bereich zu zeigen.
Literatur auf Anfrage.

Autoren:

PD Dr. med. Frank Martetschläger,
Prof. Dr. med. Mark Tauber,
Prof. Dr. med. Peter Habermeyer
Deutsches Schulterzentrum, ATOS Klinik München, Effnerstr. 38, 81925 München
E-mail: martetschlaeger@atos-muenchen.de,

Freitag 29.04. 8:00–9:30 Uhr
Auditorium

Quelle:
ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 04.2016, VSOU-KONGRESS | SPECIAL – BIERMANN MEDIZIN, www.biermann-medizin.de
Abbildungen 1 „Arthroskopischer Blick durch das laterale Portal einer rechten Schulter“ sowie
Abbildungen 2 „LD-Transfer in „Single incision Technik“ nach Habermeyer“ und
Abbildung 3 „Postoperatives Röntgenbild nach Implantation einer inversen Prothese (Fa. Arthrex).“
im Artikel anzusehen unter http://www.biermann-medizin.de/user/register
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