Interview mit Peter Rudolph, der anlässlich eines schweren Fahrradsturzes mit komplexen Verletzungen vor allem im Bereich der oberen Extremitäten mit Operation (08.06.22) von Operateur Prof. Dr. Martetschläger vom Deutschen Schulterzentrum und anschließender Physiotherapie nach 4 Monaten bei der Ironman-WM 2022 am 08.10.22 auf Hawaii startete und mit der Finisher-Medaille, welche jeder Teilnehmer mit überschreiten der Ziellinie erhält, erfolgreich seine Teilnahme bei der Ironman-WM 2022 beenden konnte.

Wie kam es zu dem Fahrradunfall und welche Verletzungen haben Sie sich dabei zugezogen?

Peter Rudolph: Bei der Teilnahme am Triathlon Ingolstadt (Deutsche Meisterschaft über die Mitteldistanz) am 29.05.22 zur Vorbereitung auf den Ironman Frankfurt (Europameisterschaft über die Langdistanz) Ende Juni überquerte ein unaufmerksamer Passant unsere Wettkampfstrecke. Er ging einfach über die Straße, wobei er nur auf sein Handy sah. Es ging alles ganz schnell. Er stand unvermittelt vor mir auf der Wettkampfstrecke. Da ich mit fast 50 km/h unterwegs war, kam es zum direkten Zusammenstoß mit dem Passanten – ohne jede Chance für mich, noch zu reagieren oder zu bremsen.
Im Klinikum Ingolstadt wurden bei mir eine ganze Reihe von Verletzungen diagnostiziert – multiple Frakturen im linken Schlüsselbein und im linken Ellbogen, eine Rippenserienfraktur links sowie Prellungen der linken Schulter, im linken Hüftgelenk sowie im linken Knie.

Was ist aus der Sicht des Operateurs jeweils entscheidend, beispielsweise bei einer Claviculafraktur (Schlüsselbeinbruch) und zusätzlich bei einer Ellenbogenfraktur für eine best- und schnellstmögliche Wiederherstellung der Funktion, gerade beim Sportler?

Prof. Dr. med. Frank MartetschlägerProf. Dr. Frank Martetschläger: Bei dieser Art von Verletzungen ist natürlich die zeitnahe korrekt-anatomische Einrichtung und stabile Fixierung der Brüche das Entscheidende, um eine stabile Ausheilung und normale Gelenkskinematik in Zukunft gewährleisten zu können. Gerade beim Spitzensportler ist allerdings entscheidend, dass es im Anschluss an die Operation eine Ruhepause braucht, in der die Frakturen heilen können, ohne zu viel Belastung in dieser Phase. Dies steht einer sehr raschen Rückkehr bisweilen durch resultierende Einsteifungen des Gelenkes im Wege.

Sehr von Vorteil war, dass Herr Rudolph ein sehr gutes Körpergefühl hat und muskulär sehr gut trainiert war, was ihm bei der postoperativen Therapie überaus zugutekam, um die verplatteten Brüche nicht zu überlasten. Das Training wurde zunächst so abgestimmt, dass die untere Extremität ohne Belastung der Schulter und des Ellenbogens zeitnah wieder in die Belastung genommen werden konnte.
Weitere Übungen folgten zur Kräftigung, immer unter der Berücksichtigung, Schulter- und Ellenbogengelenk nicht zu überlasten, da sich die Frakturen noch in der Heilung befanden.
Bereits nach 6 Wochen zeigte Herr Rudolph eine freie und schmerzlose Beweglichkeit in beiden Gelenken.

Was ist das schwierigste für den Arzt bei einer derartigen Behandlung von Spitzenathleten?

Prof. Dr. Frank Martetschläger:
Neben den bisweilen komplexen Verletzungen durch Hochrasanztraumata, wie im vorliegenden Fall, die eine korrekte anatomische Rekonstruktion erschweren, ist vor allem die Führung der Patienten nicht immer so leicht wie bei Herrn Rudolph. Oft deckt sich ganz einfach die Schwere der Verletzung nicht mit dem Anspruch bzw. der Einschätzung von Sportler und Umfeld, was die Rückkehr zum Sport anbelangt. Hier ist eine realistische Einschätzung unerlässlich.
Allerdings sollte man sich mit zu negativen Äußerungen hinsichtlich der Erreichbarkeit gewisser hochgesteckter Ziele zurückhalten, um den Spitzensportler nicht zu desillusionieren. Nur weil einem bisweilen selbst der Glaube fehlt, heißt das noch lange nicht, dass der Profisportler es nicht schafft – Profisportler ticken anders (lacht) und, wie man im vorliegenden Fall sieht, alles ist möglich!

Ab wann nach der OP haben Sie mit Physiotherapie begonnen und ab wann sind Sie mit dem Training für die Ironman-WM 2022 wieder gestartet?

Peter Rudolph: Mit der stationären Physiotherapie bin ich einen Tag nach der OP am 09.06. direkt vor Ort im Deutschen Schulterzentrum in der ATOS Klinik München bereits gestartet.
Fortgeführt habe ich die Behandlung in der Physiotherapie am Osteozentrum Schliersee ab dem 17.06., in der Regel mit 3 Sessions in der Woche bis zum 23.09. kurz vor dem Abflug nach Hawaii. Die Behandlungsabfolgen waren ieweils aufgegliedert in eine Einheit Krankengymnastik und damit kombiniert eine Einheit Strom/Wärme zur Durchblutungsförderung und Muskelstimulation.

1 Woche nach OP:
Griffübungen habe ich noch im Bett gemacht, tägliche Spaziergänge mit 40 Min., dann auf 60 – 120 Min. gesteigert.

Ca. 14 Tage nach OP:
Erstes vorsichtiges Radfahren auf der Rolle (eingespanntes Fahrrad) mit 20 Min. und bedacht niedriger Herzfrequenz (unter 120), um den Heilungsprozess keinesfalls zu behindern.

Ca. 1 Monat nach OP:
Als 3. Einheit in jeder Session habe ich Wasserkrankengymnastik im Bewegungsbad erhalten.
Bereits leichte Einheiten am Fahrrad-Ergometer absolviert.
Erstes einarmiges Schwimmen (600 m in Summe, nicht am Stück) probiert.
Ich bin in ein erstes EMS-Training (1x wöchentlich) als zusätzliches Stabilitäts- und Athletiktraining eingestiegen.
Ganz wichtig: Sowohl bei den ersten Versuchen mit dem Rad zu fahren als auch zu Schwimmen, habe ich immer intensiv auf meine Körpersignale gehört, und wenn etwas von meiner Wahrnehmung zu früh war, habe ich sofort abgebrochen. Jedes Zuviel zu Beginn hätte sich später mehrfach gerächt, daher habe ich immer eher defensiv gesteigert.

Ca. 6 Wochen nach OP:
Begonnen habe ich mit einem sehr leichten Lauftraining (max. 20 Min. auf Waldboden).

Ca. 2 Monate nach OP:
Als 4. Einheit in jeder Session habe ich Krankengymnastik am Gerät dazu genommen.

Ca. 10 Wochen nach OP:
Zu diesem Zeitpunkt war mein Training annähernd im ähnlichen Rhythmus bezüglich Trainingshäufigkeit wie vor dem Sturz (bis zu 14 Einheiten die Woche inkl. EMS und zusätzlich zu meinen physiotherapeutischen Behandlungs-Einheiten).

Auf der Zielgeraden – noch ca. 6 Wochen bis zum Start (Anfang September)
Belastungswettkampf beim “Ironman 70.3 Erkner” in Brandenburg (Mitteldistanz Triathlon = halber Ironman) mit Finish in den Top Ten meiner Altersklasse und guten Leistungswerten.
4 Wochen gezieltes Training – jeden Tag – bis zum Start am 08.10.22.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich ca. 6 Wochen vor der Ironman-WM 2022 wieder soweit hergestellt war, dass ich volles Training mit voller Belastung absolvieren konnte.

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GRATULATION:

IRONMAN-WM Peter Rudolph - Prof. MartetschlägerProf. Martetschläger mit dem gesamten Team des Deutschen Schulterzentrums gratuliert zu vier äußerst erfolgreichen Monaten von Rehabilitation und Training, Genesung und vollkommener Wiederherstellung nach komplexen Verletzungen vor allem im Bereich der oberen Extremitäten. Der Chirurg sieht hier ein herausragendes Beispiel dafür, was medizinisch und physiotherapeutisch auf der einen Seite und körperlich und mental auf der anderen Seite möglich ist, wenn Chirurg, Physiotherapeut und Patient in engstem Austausch – für die Gesundheit – an einem Strang ziehen.

„Nach diesen schweren Verletzungen beim Fahrradsturz und so erschwerten und reduzierten Vorbereitungs- und Trainingsphasen für die Teilnahme bei der Ironman-WM 2022 hat Peter Rudolph allein deshalb schon gewonnen, weil er dabei ist. Ich wünsche ihm von ganzem Herzen, dass er alle sportlichen und körperlichen Herausforderungen bewältigen kann, gut und gesund durchkommt und er mit dem Zieldurchlauf seinen ganz persönlichen und höchst verdienten Erfolg für eine einzigartige Leistung bekommt“, fiebert Operateur Prof. Frank Martetschläfer ab dem 08.10.22 mit.

Wie sieht denn Ihr Tagesablauf, Ihre Ernährung, Ihre Trainingseinheiten, mentale Stärkung für einen Medaillengewinner wenige Monate vor der Ironman-WM 2022 aus?

Peter Rudolph: Mein Tagesablauf unter der Woche sieht folgendermaßen aus: Planung der mindestens 2 Trainingseinheiten pro Tag entsprechend der beruflichen Termine und geforderten Trainingsbelastung. Die Ernährung wird dementsprechend geplant (Schwimmeinheiten und leichte Läufe z. B. in der Frühe mit leichtem oder keinem Frühstück), im Anschluss während der Büroarbeit kräftiges Frühstück und je nachdem Essen mittags, nachmittags oder abends.
Zusätzlich wird eine strenge zweite Trainingseinheit absolviert. Die Trainingseinheiten unter der Woche sind locker ausgerichtet oder mit hochintensiven Intervallen, daher aber meist nicht länger als maximal 70 Min., am Wochenende setze ich dann auf ein mehrstündiges Training.

Meine vorbereitende Ernährung zum Wettkampf: Ich nehme gezielte Nahrungs-Ergänzung zur Unterstützung der Regenation und zur Trainingsreizverarbeitung; ansonsten ernähre ich mich kohlenhydratreduziert (im allgemeinen nicht vollumfänglich) und habe eher den Fokus auf pflanzliche Fette und Eiweiß, da sich dies über die Jahre für meinen Körper als positiv erwiesen hat, um ein akzeptables Wettkampfgewicht zu erreichen, gleichzeitig aber für Training und Arbeit voll leistungsfähig zu sein, am Wochenende gönne ich mir dann eher normale Kohlenhydratzufuhr.

Das Thema „Mentale Stärkung“ ist schwer zu beschreiben. Mir ist wichtig, hundertprozentig auf das Ziel fokussiert zu sein, gleichzeitig aber auch Teilziele zu haben. Ich überlege mir sehr genau, wie ich performen werde. In Gedanken visualisiere ich gern, das entspannt und motiviert mich. Um mich positiv einzustimmen, auf Vorfreude und Bestleistungen träume ich auch gern. Ich spiele Szenarien immer wieder durch, nehme gedanklich an den Wettkämpfen teil und konzentriere mich auf die Vorgaben im Training, das zumeist durch viele Intervalle sehr abwechslungsreich und sogar kurzweilig ist. Eine gute Trainingssteuerung durch meinen erfahrenen Trainer ist auf diesem Niveau aber das A & O.

Wie lässt sich für einen Teilnehmer bei der Ironman-WM 2022 beruflich und privat so verbinden, noch dazu, nach einer schweren multiplen Verletzung, dass eine Medaille nach wenigen Monaten der Rekonvaleszenz gewonnen werden kann?

Peter Rudolph: Das ist nur möglich mit einer sehr guten Planung und flexiblen Arbeitsmöglichkeiten. Ich kann das Training um meine beruflichen Termine und Telefonkonferenzen herumplanen, die reine Büroarbeit zu jeder Uhrzeit erledigen. Aufgrund der pandemischen Lage habe ich nahezu keine Dienstreisen, aber viel Home-Office mit Trainingsmöglichkeiten vor der Haustüre bzw. mit Trainingsgeräten, wie Laufband, Black-Roll und spezifische Fitnessgeräte für meine Bedürfnisse im eigenen Haus (Keller), das schafft viel Flexibilität und kurze Wege.
Mein Arbeitgeber und meine Kollegen unterstützen mich – hier habe ich offen kommuniziert, wann ich wie oft Physiotherapieblöcke habe, die ich ebenfalls bei kritischen Konflikten flexibel verändern konnte, auch hier war die Flexibilität des Physiozentrums hilfreich inklusive der Therapiepläne, insbesondere mit den Terminen über Wochen im Voraus.
Privat hat sich die Abstimmung über die letzten Jahre schlichtweg sehr eingespielt, trotzdem war die Zeit von der OP bis zur Ironman-WM 2022 durch die zusätzliche Physiotherapie und natürlich die körperlichen Beschwerden sehr intensiv. Das Ziel vor Augen half, dran zu bleiben und durchzuhalten, aber die Tage waren so voll und durchgetaktet, dass noch mehr als sonst andere Interessen auf der Strecke blieben.

Über Peter Rudolph – Kurzprofil

Geboren 1978 in Berlin, wohnhaft im Tegernseer Tal, verheiratet.
Studierter Apotheker, seit mehr als 15 Jahren in der Pharmaindustrie tätig.

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Nach der Ironman-WM 2022 und sportlicher Ausblick 2023 …

Peter Rudolph: Ich habe mit meiner Frau anschließend drei Wochen Urlaub gemacht und es auch den gesamten November über eher ruhig angehen lassen. Ab Dezember habe ich wieder versucht, wenn möglich, in einen täglichen Sportrhythmus zu kommen, jedoch in Umfang und Intensität reduziert.

Was meine sportlichen Überlegungen für das Jahr 2023 sind? Mit der Teilnahme bei der Ironman-WM 2022 habe ich etwas abgeschlossen, da auf diesem Leistungsniveau fast durchweg zwei Trainingseinheiten am Tag notwendig sind, hier möchte ich mich etwas mehr meinen anderen Interessen widmen und mehr zeitliche Flexibilität für weitere Aktivitäten haben. Nichtdestoweniger möchte ich aber weiterhin alle drei Sportarten (Schwimmen, Radfahren, Laufen) im Alltag betreiben und auch die eine oder andere (herausfordernde) Veranstaltung absolvieren. Es geht mir hierbei aber mehr darum, den Eventcharakter zu genießen und weniger um eine bestimmte Leistung, Zeit oder Platzierung. Spontan denke ich an Events, wie „Arena Alpen Open-Water Cup“ (Seedurchquerungen im Alpenraum), vielleicht der eine oder andere Radmarathon oder ich versuche auch mal einen 100 km Lauf zu absolvieren. Ideen und Träume gibt es immer genug, denn bis heute habe ich keine Beschwerden oder Einschränkungen, auch bei herausfordernden sportlichen Aktivitäten.